Zwischen meinen Eltern
Es ist weich. Warm. Ein Schlund. Eine Höhle. Ich bewege mich nicht. Stelle mich absichtlich tot, damit der Augenblick länger hält.
Das war früher, als die wilden Tiere in der Nacht aus dem Wald zu mir kamen und ich im Schlaf den Weg zu meinen Eltern fand.
Das Bett stand da noch anders. Ein Gestell, zwei Matratzen. Dazwischen, auf dem Spalt, lag zusammengerollt ich. Jede Nacht. Viel später, erst vor Kurzem in den Ferien, finde ich mich wieder zwischen meinen Eltern. Nicht ganz so nah wie früher. Es gibt drei Betten. Ausgestreckt in voller Länge, lausche ich in die Dunkelheit. Meine Eltern schlafen schon lange tief und fest. Unser Gespräch hallt nach, Fetzen davon füllen den Raum. Wie Nebelschwaden.
Langsam nur lösen sich die Worte, hinter denen sich Unausgesprochenes versteckt, auf und verlieren an Bedeutung. Etwas bleibt zurück. Meine Eltern müssen sich keine Sorgen machen. Nicht um mich. Ich bin schon gross und wandle nicht mehr mit der Decke in der Hand durch die Gegend. Nächtliche Ausflüge im Schlaf. Zu meiner Schwester ins Zimmer, um laut zu lachen. Zu den Ziegen, um sie zu füttern und ihren Stall zu misten. Zu der kinderlosen Nachbarin im übernächsten Haus, bei der ich einen Zettel hinterlege. Es tut mir leid, dass ich zu spät zum Kinderhüten komme.
Heute Nacht lausche ich nur. Ich wache über meine Eltern, die wie Glasfiguren in Watte gepackt in ihren Betten liegen. Sorgfältig hingelegt, damit sie nicht zerbrechen. Dann fallen auch mir die Augen zu. Allerdings nur für kurz. Ein Schlafsack raschelt. Auf dem Nachttisch werden Gegenstände bewegt. Aus einem Blister wird eine Tablette gedrückt. Der Deckel einer Plastikflasche fällt auf den Boden. Das Geräusch von Wasser. Schlucken. Ein Taschentuch wird aus der Verpackung gezogen. Mehrmalige Schnäuzgeräusche. Stille. Ich horche. Warte auf das nächste Geräusch. Da kommt es. Mein Vater setzt sich auf. Das Öffnen eines Reissverschlusses. Das Sprühen eines Sprays. Meine Mutter dreht sich auf die andere Seite. Mein Vater bleibt eine Weile sitzen. Dann legt er sich wieder hin. Stille. Atmen. Meine Mutter dreht sich hin und her. Und nochmals hin und her. Dann steht sie auf. Leichte Schritte auf dem Steinboden. Das Öffnen der Tür zur Toilette, das Schliessen.
«Marc hat mich morgen zu seiner Buchvernissage eingeladen. Ich würde so gerne hinfahren.» «Papa, warum tust du es nicht einfach.» «Ich kann sie nicht allein lassen.» «Wir finden zusammen eine Lösung.» «Nein, das geht nicht.» «Du kannst so stur sein, Papa.»
Die Toilettentür wird geöffnet. Mein Vater und ich verstummen. Die leichten Schritte meiner Mutter. Schritte, die mir zu verstehen geben: Ich bin wach. Ich kann nicht schlafen. Wieder nicht. Ich habe noch keine Sekunde geschlafen heute Nacht. Sie setzt sich auf das Bett. Sie trinkt.
Sie durchsucht ihren kleinen Beutel. Schlafmittel. Tropfen, die nicht wirken. Ich höre sie trotzdem, die Tropfen, wie sie ins Wasser fallen.
18 – 19 – 20. Meine Mutter nimmt einen grossen Schluck.
Ich stelle mich schlafend. Möchte lauschen. Immer weiter lauschen.